Sein oder Nichtsein – das ist nicht nur die berühmteste Frage der Theatergeschichte, sondern auch der Beginn eines inneren Bebens, das Generationen von Zuschauern in den Bann gezogen hat. Hamlet, der rätselhafte Prinz von Dänemark, gefangen zwischen Pflicht und Zweifel, zwischen Wahnsinn und Klarheit, betritt nun erneut die Bühne – aber diesmal anders. Kraftvoll, musikalisch, rau und zugleich zerbrechlich. Als Pop-Opera. Als elektrisierendes Musiktheater. Als ein Ereignis, das Villach an vier Abenden im August zum pulsierenden Epizentrum zwischen Bühne, Seele und Sound macht.
Es beginnt mit einem Geist. Der tote Vater, erschienen in einer Nacht aus Nebel und Schweigen, offenbart seinem Sohn die Wahrheit: Er wurde ermordet. Nicht von einem Feind. Sondern vom eigenen Bruder. Claudius, nun selbst auf dem Thron, nun im Bett der Königin – Gertrude, Hamlets Mutter. Die Welt gerät ins Wanken. Vertrauen wird zur Fassade, Nähe zum Verrat. Hamlet stürzt in eine Spirale aus Fragen und Masken, sucht Gerechtigkeit, spielt Wahnsinn, kämpft gegen Windmühlen aus Intrigen und Spiegelbildern. Und am Ende – wie ein apokalyptischer Akkord – liegt der Hof in Trümmern. Blut. Schweigen. Erlösung?
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Doch was geschieht, wenn diese Geschichte, diese uralte Wunde menschlicher Existenz, ihre Stimme verändert? Wenn die Tragödie zum Takt der Gegenwart schlägt? Wenn Hamlet nicht nur spricht, sondern singt, schreit, klagt, fleht – und damit den tiefsten Resonanzraum in uns trifft?
Das Musiktheater-Projekt „Hamlet Pop-Opera“, das vom 6. bis 9. August in Villach über die Bühne geht, ist genau das: Ein poetischer Befreiungsschlag. Gemeinsam mit dem Regisseur Bernd Liepold-Mosser – bekannt für seine mutigen, klugen Inszenierungen – entwickeln die Musikerinnen Alicia Edelweiß und Christina Ruf eine Form, die Shakespeare nicht modernisiert, sondern ihn auflädt. Mit Cello, Stimme, elektronischen Schichten und einem Sound zwischen Indie-Folk, Artpop und dunklem Minimalismus wird aus der alten Tragödie ein leidenschaftlicher Seelenspiegel unserer Zeit.
Alicia Edelweiß, deren Stimme ebenso fragil wie kraftvoll durch die Arien dieser Inszenierung führt, ist nicht einfach nur Musikerin – sie ist Hamlet. Verloren, suchend, provozierend. Sie transformiert Schmerz in Klang, Zweifel in Rhythmus. Christina Ruf am Cello flicht dazu ein Klanggewebe, das mal wie ein inneres Flüstern klingt, mal wie ein Orkan, der das Schloss von Elsinore hinwegfegt. Die Musik trägt den Text, umarmt ihn, widerspricht ihm – und macht daraus eine Erfahrung, die weit über das hinausgeht, was Theater zu sein glaubt.
Villach, die Stadt an der Drau, wird für diese vier Nächte zum Schauplatz einer Verwandlung. Nicht nur auf der Bühne – auch im Herzen der Stadt. Denn diese Aufführungen sind keine isolierten Kulturinseln, sie sind Teil einer urbanen Erzählung. Einer Stadt, die Kunst atmet, ohne elitär zu wirken. Villach liebt das Experiment, das Spiel mit Form und Inhalt. Und diese „Hamlet“-Version passt zu ihr wie ein Echo zur Stimme.
Die Besucher tauchen nicht einfach in ein Stück ein – sie betreten eine neue Dimension. Zwischen den Mauern des Veranstaltungsorts (der zum perfekten Bühnenraum für dieses düstere Spiel wird), treffen sich Licht und Schatten, Bass und Stille. Der Raum wird zur Bühne, zum Gefängnis, zum Ort des inneren Aufruhrs. Und draußen, in den Straßen von Villach, spürt man die Nachklänge. Vielleicht weil die Stadt selbst weiß, wie es ist, zwischen Tradition und Aufbruch zu stehen.
Denn Villach hat sich verändert. Es ist nicht mehr nur der gemütliche Ort zwischen Alpen und Seen – es ist ein Ort geworden, an dem Kultur brodelt. Wo junge Kunstschaffende auf historische Fassaden treffen, wo Festivals, Lesungen, Jazzabende und Theaterinszenierungen den Puls bestimmen. Und doch hat sich Villach eines bewahrt: die Echtheit. Das Authentische. Man isst hier gut, man spricht mit Fremden wie mit Freunden, man fühlt sich sofort wie ein Teil dieses Kaleidoskops aus Geschichte und Gegenwart.
Wer also zu „Hamlet Pop-Opera“ kommt, erlebt mehr als ein Stück. Er erlebt eine Stadt, die sich nicht nur als Kulisse versteht, sondern als Teil des Spiels. Vielleicht geht man nach der Vorstellung noch an die Drau, lässt die Musik in sich nachhallen. Vielleicht sitzt man in einem der Lokale der Altstadt, trinkt ein Glas und blickt auf das, was man eben gesehen hat. Und spürt: Dieser Hamlet, so alt er sein mag, spricht gerade jetzt, gerade hier, gerade zu mir.
Villach schenkt seinem Publikum in diesen Augustnächten keine einfache Antwort auf Hamlets berühmte Frage. Aber es schenkt eine Erfahrung. Einen Rausch. Eine Erinnerung, die bleibt. Und in einem Sommer wie diesem – wo die Welt so oft im Lärm versinkt – ist es vielleicht genau das, was wir brauchen: Ein Stück Stille, das laut singt. Ein Theater, das mehr ist als Bühne. Eine Stadt, die nicht tut, als wäre sie Welt – sondern zeigt, dass sie eine ist.
