In den Annalen Kärntens, wo sich die Alpen majestätisch erheben und die Flüsse wie Lebensadern durch die Täler mäandern, erzählt man sich viele alte Geschichten. Doch kaum eine ist so sehr in das kollektive Gedächtnis der Menschen eingegraben wie die vom Lindwurm, jenem schuppigen Untier, das einst die Gegend heimsuchte. Während der steinerne Lindwurm in Klagenfurt vom Sieg über das Böse kündet, flüstern die alten Steine der Villacher Altstadt von einer anderen, düsteren Begegnung, die sich tief in den reißenden Fluten der Drau ereignete.
Es war in einer Zeit, als Villach noch eine junge Stadt war, ihre ersten Häuser sich eng an die Drau schmiegten und die Bewohner in Ehrfurcht vor der gewaltigen Natur lebten. Die Drau, sonst eine Quelle des Lebens, des Handels und des Fischreichtums, hatte eine dunkle Seite. Vor allem in den nassen, nebelverhangenen Monaten, wenn der Fluss anschwoll und seine Ufer übertrat, begannen die Ältesten von einem Ungeheuer zu raunen, das in den unergründlichen Tiefen hauste. Man nannte es den Drau-Lindwurm, eine Kreatur von albtraumhafter Größe, dessen Schuppen so dunkel waren wie die pechschwarze Nacht und dessen Augen wie glühende Kohlen im Zwielicht leuchteten.
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Niemand wusste genau, wann er das erste Mal sein Antlitz zeigte. Doch die Berichte von verschwundenen Fischern, von zerrissenen Netzen und von plötzlichen, unerklärlichen Flutwellen, die ganze Uferabschnitte verschlangen, mehrten sich. Ein eisiger Schauer legte sich über die Stadt, wenn der Nebel von der Drau aufstieg und die Schreie der Opfer, die in den reißenden Strudeln verschwanden, bis in die engen Gassen drangen. Die Bauern sahen ihre Felder vernichtet, die Händler ihre Boote zerschmettert, und die Kinder wussten genau, dass sie dem Fluss fernbleiben sollten, wenn die dunklen Schatten auf dem Wasser tanzten.
Der Lindwurm forderte seinen Tribut. Nicht nur Hab und Gut, sondern auch Menschenleben. Die Priester riefen zu Gebeten auf, die Stadtväter berieten in panischer Angst, doch niemand schien eine Lösung zu wissen. Kugeln prallten an seinen Panzer ab wie Regentropfen an einem Felsen, und Schwerter zerbrachen an seinen dicken Schuppen. Verzweiflung breitete sich aus, als die Drau, einst ihr Segen, nun zum ständigen Quell der Furcht wurde.
Dann, so wird erzählt, trat ein junger, mutiger Fischer namens Klemens hervor. Er hatte seine Familie an die kalten Fluten verloren und schwor Rache. Klemens war nicht nur stark, sondern auch klug. Er wusste, dass rohe Gewalt gegen das Untier nutzlos war. Tage und Nächte verbrachte er damit, die Gewohnheiten des Lindwurms zu studieren, die Strömungen der Drau zu lesen und die alten Sagen nach einem Hinweis zu durchforsten. Er fand seine Antwort in einer alten Schriftrolle, die von einem Kraut sprach, das in den tiefsten Sümpfen wuchs und dem Drachen das Innere verzehren konnte.
Mit einer List lockte Klemens den Lindwurm in eine Engstelle des Flusses, wo er zuvor riesige Mengen des besagten Krautes in präparierten Tierkadavern versteckt hatte. Der Lindwurm, gierig und unvorsichtig geworden durch seine unangefochtene Herrschaft, verschlang die Köder. Ein markerschütterndes Brüllen hallte durch das Tal, als das Kraut seine Wirkung entfaltete. Die Drau brodelte und schäumte, als der Lindwurm in seinen Todeszuckungen gegen die Ufer schlug. Die Erde bebte, und die Villacher sahen vom sicheren Ufer aus zu, wie ihr Peiniger langsam in den dunklen Tiefen versank.
Von diesem Tage an kehrte der Friede in Villach ein. Die Drau floss wieder ruhig und friedlich, doch die Legende vom Drau-Lindwurm blieb. Sie wurde von Generation zu Generation weitergegeben, nicht nur als gruselige Erzählung, sondern auch als mahnende Erinnerung an die ungezähmte Kraft der Natur und an den Mut jener, die sich ihr entgegenstellten. Und noch heute, wenn der Nebel über der Drau liegt und das Wasser murmelnd durch die Stadt zieht, kann man fast die Schatten des alten Lindwurms tanzen sehen, ein Geheimnis im Herzen Kärntens, das tief in den Fluten schlummert.
